Heute ein Jellycat-Kuscheltier, morgen ein neuer Stift von Legami und übermorgen müssen es unbedingt die neuesten Sneaker einer bestimmten Marke sein. Eltern kennen dieses Szenario nur zu gut: Kinder entwickeln schon in jungen Jahren eine erstaunliche Affinität zu Marken und üben nicht selten einen erheblichen Druck aus, um dazuzugehören. Doch was steckt wirklich hinter diesem Wunsch? Sind Marken nur Statussymbole oder erfüllen sie eine tiefere psychologische Funktion in der Entwicklung von Kindern?
In einem aufschlussreichen Interview bei Toggo Radio sprach Moderatorin Bea mit unserem Experten für Familienmarketing, Ingo Kessler, genau über diese Fragen. Wir haben das Gespräch für Sie transkribiert, um die faszinierenden Einblicke in die Welt der Kinder und Marken zu teilen – ein Muss für alle, die im Bereich Familienmarketing tätig sind oder einfach nur verstehen wollen, was im Kinderzimmer wirklich vor sich geht.
Teil 1: Die Grundlagen – Warum Marken für Kinder so wichtig sind
Bea: Heute ein neues Jellycat Kuscheltier, morgen ein neuer Legami-Stift mit Einhornkopf. Sind eure Kinder zurzeit auch so markenfixiert? Hey, hier ist Bea von Toggo Radio. Also bei uns zu Hause sind gerade die Legami-Stifte sowas von krass aktuell, da wird gesammelt, was das Zeug hält. Die Jellycat Kuscheltiere sind noch nicht so ein Thema, aber ich höre das überall um mich herum. Also ich glaube, das ist auch nur noch eine Frage der Zeit, bis das bei uns auch angekommen ist. Und bei mir ist jetzt Ingo Kessler, Experte für Familienmarketing. Ingo, sag mal, warum identifizieren sich Kinder schon in jungen Jahren so stark über die Marken?
Ingo Kessler: Im Grunde funktionieren Marken für Kinder ähnlich wie für Erwachsene auch. Marken sind eine Abkürzung zu Identitätsfindung, Identitätsausdruck, zur sozialen Orientierung. Und das beginnt eben, ja so im Kita-Alter mit vier, fünf, dass Kinder ein Bewusstsein für symbolische Bedeutung entwickeln. Und eine Form der symbolischen Bedeutung, die wir eben haben, sind Marken, die Symbole für irgendwie was Komplexeres sind. Und dann entwickeln Kinder so ein Markenverständnis, dass Marken ein Code dafür sein können: Wer bin ich? Wie bin ich? Wo gehöre ich dazu? Bin ich wie die anderen? Bin ich anders als die anderen? Also im Grunde sind Marken für Kinder sowas wie ein Kompass, der ihnen hilft herauszufinden, wer sie sind und wo sie hingehören.
Bea: Okay, verstehe. Was machen Marken denn mit dem Selbstbild und dem sozialen Status in der Klasse?
Ingo Kessler: Marken schaffen sowas wie unsichtbare oder implizite Clubs. Wer dieselbe Marke besitzt, der gehört eben irgendwie zusammen, und wer was anderes hat, der gehört zu einem anderen Club. Und was ganz Spannendes, was man jetzt so in den letzten Jahren sieht, ist: Da Marken ohnehin ja eine virtuelle Währung sind, ist es für Kinder auch völlig egal, ob das jetzt sich um physische Marken oder um digitale Marken handelt. Also mein Roblox-Avatar, der kann die gleichen Funktionen erfüllen wie ein Markenpullover oder ein Markensneaker.
Bea: Okay. Zurzeit sind bei Kindern ja so Sachen wie Jellycat Kuscheltiere oder Legami-Stifte im Trend. Wieso sind gerade solche Sammelobjekte für Kinder so attraktiv?
Ingo Kessler: Ja, also da kommt bei Kindern ein weiterer Aspekt der Entwicklungspsychologie dazu, nämlich tatsächlich: Sammeln ist wahnsinnig wichtig für Kinder. Das fängt tatsächlich irgendwie mit Steinchen und Stöckchen im Zweifelsfall schon an. Und das gibt eben so ein Gefühl von Vollendung, aber auch Kontrolle. Und auch beim Sammeln ist der Aspekt der sozialen Interaktion nicht zu unterschätzen. Also zum Sammeln gehört immer auch Tauschen oder zumindest Vergleichen, sich darüber austauschen, gemeinsam angucken. Also, ja, deswegen so Sammeln gehört eigentlich sowieso zu kindlichem Verhalten dazu. Sowas wie Jellycat funktioniert natürlich noch besonders gut, weil da dann auch noch eine Persönlichkeit jeweils dazu kommt. Man sammelt ja im Grunde nicht nur Objekte, sondern Charaktere. Das heißt, da kommt dann auch noch die Dimension von Storytelling und Spielen dazu, die auf das Sammeln noch mal draufsetzt.
Teil 2: Alternativen zum Markenkult – Wie Hobbys und Fandoms Zugehörigkeit schaffen
Bea: Markenprodukte sind wie ein sozialer Club, in dem sich Kinder zugehörig fühlen, wenn sie die gleiche Marke wie andere besitzen. Das hat uns eben Ingo Kessler erklärt, Experte für Familienmarketing. Hi, Toggo Radio hier mit Bea. Und glücklicherweise gibt es ja auch Dinge, die wir nicht kaufen müssen und über die sich unsere Kinder trotzdem identifizieren können und dazugehören.
Ingo Kessler: Ja, absolut. Also es müssen nicht Marken sein, sondern im Grunde eine sehr ähnliche Funktion erfüllen auch Interessen, Hobbys oder Fandoms, wie man es nennt. Also, weil auch das ist dann Ausdruck von Persönlichkeit, Geschmack, wer bin ich und von Zugehörigkeit. Also die Harry-Potter-Fans und die Marvel-Fans oder Anime, Manga – das sind auch Sachen, über die man sich einerseits identifiziert und dadurch so eine Gruppenzugehörigkeit schafft, aber auch Gesprächsthemen und soziale Interaktionen ermöglicht.
Bea: Das geht ja auch übers Gaming. Also spiele ich jetzt zum Beispiel Fortnite oder Roblox? Oder das geht auch über: Welchem Influencer folge ich auf Instagram?
Ingo Kessler: Es geht aber auch mit so Sachen wie Sport, ne? Die die Fußballjungs, die in jeder Pause auf dem Schulhof Fußball spielen, die sind eben die Gruppe der Fußballjungs. Solche Sachen. Oder es kann auch einfach ein Hobby sein, ne? Also in der Schulband sein, K-Pop hören, Swifty sein. Das sind auch alles so ähnliche Dinge oder Dinge, die ähnlich funktionieren wie Marken, die Gruppenzugehörigkeit schaffen – also "wir sind die Fußballjungs" – die so einen gewissen Selbstausdruck auch bringen, den Kinder eben erlernen: Wer bin ich und wie zeige ich, wer ich bin und wie ich bin. Und dieses Element der sozialen Verbindung und des Gesprächsstoffs einfach.
Praktische Tipps – Der richtige Umgang mit dem Wunsch nach Marken
Bea: Okay. Ingo, wenn jetzt mein Kind trotzdem unbedingt die neuen Markenschuhe haben möchte, hast du da Tipps als Papa, wie man gegen diesen Markendruck vorgehen kann?
Ingo Kessler: Also, ich denke, wie bei so vielen Dingen ist die die Lösung – gut, das ist jetzt schon fast eher die private Antwort – aber die Lösung ist dann eher, so die Balance zu finden und eben auch darüber zu sprechen, warum muss es diese Marke sein? Was macht diese Marke? Was bedeutet diese Marke dir? Dann aber auch nicht abwerten, dass das tatsächlich wichtig ist. Also dazugehören ist tatsächlich wichtig in der Entwicklung eines Kindes und deswegen kann das ein absolut legitimer Grund sein, sich die Nike-Sneaker kaufen zu wollen.
Bea: Ja, das verstehe ich absolut. Und wir waren ja auch alle mal in diesem Alter, in der gleichen Situation und wissen vielleicht auch noch, wie es ist, unbedingt dazugehören zu wollen. Danke, Ingo Kessler, Experte für Familienmarketing.
Fazit
Das Gespräch mit Ingo Kessler zeigt eindrücklich: Marken sind für Kinder weit mehr als nur Produkte. Sie sind ein Kompass zur Orientierung, ein Werkzeug zur Identitätsbildung und eine Eintrittskarte in soziale Gruppen. Gleichzeitig können Interessen, Fandoms und Hobbys genau dieselbe wichtige Funktion erfüllen. Für Eltern und Marketer bedeutet das, den Wunsch nach Zugehörigkeit ernst zu nehmen, aber auch die vielfältigen Wege zu erkennen, auf denen Kinder ihre Persönlichkeit ausdrücken und ihren Platz in der Welt finden. Ein authentisches Verständnis dieser Dynamiken ist der Schlüssel, um Kinder auf Augenhöhe zu erreichen und verantwortungsvolles Familienmarketing zu betreiben.